mein Ärger liebt mich—mein Ärger weiß die Wahrheit
mein Ärger erinnerte den Inzest der die sechzehnjährige
in einen Abgrund von Verwirrung, Panik und Verzweiflung stürzte
ich mußte die Wahrheit vor mir selbst verbergen
weil sich die kleine Barbara durch ihren Vater sicher gefühlt hatte
er hatte sie nie geschlagen
sie konnte die Wahrheit nicht ertragen—ihr Vater bedeutete ihr
Nähe, Geborgenheit, Überleben und Lebensfreude
immer wieder zwang dieses Kind den Ärger zu verstummen
als er vom Inzest berichten wollte
dieses kleine Kind weinte wochenlang in der Therapie
—mein Vater liebt mich—mein Vater würde das niemals tun—
voller Entsetzen bekämpfte sie die Wahrheit überzeugt
daß sie den Verlust ihres Bildes vom liebenden Vaters
niemals überleben würde
ich war kein ärgerliches Kind—ich war nicht der Familienrebell
im Gegenteil—ich war das Aushängeschild der Familie
doch der Ärger überlebte, wie ein U-Boot in der Tiefe
er wartete so lange bis es sicher war die Wahrheit zu sagen
als er endlich mir und meiner Arbeit in der Therapie vertraute
als er sicher war da§ ich die Wahrheit würde ertragen können
und auch nicht mehr glauben würde ich müsse verrückt sein
wenn ich etwas so Grauenvolles erinnere
da sagte mein Ärger mit entschlossener Klarheit:
dein Vater war unverantwortlich—er hat dich unfaßlich mißbraucht
er hat an dir das Verbrechen des Inzest begangen—und sicher
auch noch andere Verbrechen von denen du nichts weißt
er war fähig alle anzulügen
er lebte weiter als ob nichts geschehen wäre—
doch das Kind das seinen Vater liebte und ihm vertraute
braucht Zeit um den Verlust ihres Idols zu verkraften
jede Therapiestunde hilft ihr weiter
viele Wochen verbringe ich mit Zuhören und Trösten
und langsam kann das Kind ihre Illusionen aufgeben
sie entfaltet sich zu einem kostbaren Teil meiner Lebendigkeit
und meiner Liebe zum Leben
mein befreiter Ärger wird zum Wahrheitssucher
verwandelt sich in meinen engagierten Unterstützer
der nun die Wahrheit aussprechen kann—über den Inzest
und anderen Mißbrauch in meiner Kindheit
ich hatte den Ärger aus meinem emotionalen Repertoire verbannt
zuerst erschien er wie ein gewaltiger, dunkler Riese
der verschiedenen Identitäten von mir furchtbare Angst machte
diese wollten andren gefallen und glaubten an Illusionen
sie hatten den Menschen Barbara beherrscht
sie fürchteten sich zutiefst vor der Realität
der Ärger enthüllt die Wahrheit bis ich mit den Fakten leben kann
er hilft mir dem alten Schmerz in mir zu begegnen
er ermutigt mich ich selbst zu sein
mein Ärger wird mein Geliebter—er trägt bunte Kleidung
er möchte daß ich mir treu bin und die Wahrheit sage
er gibt mir die Kraft nein zu sagen und Grenzen zu setzen
dieser Liebhaber lehrte mich daß ich nie schlecht oder falsch war
nie ein böses oder wertloses Kind—und er enthüllt die Wahrheit
daß die Menschen denen das Leben des Kindes anvertraut war
mich mit bösen Überzeugungen und Taten
durch unmenschliche Kinderbehandlung verletzt haben
mein Geliebter möchte daß ich den Mut zum Leben wage
da§ ich stolz und frei gehe und meine Träume verwirkliche
—im geheimen, still, hinter den Kulissen, niemals laut
hat mein Ärger mein Leben höchst erstaunlich geleitet
© Barbara Rogers
Kapitel 1 Ein Ausweg
Screams from Childhood
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