Screams from Childhood

book on child abuse

therapeutic books

 
Home
Vorwort: Ein mutiges Kind
Kapitel 1
Schweigemauer
Biography Barbara Rogers
Send a Comment
 
   


 

die Wahrheit darfst du nicht sagen

meine Mutter hat aus Deutschland angerufen um mir zu mitzuteilen
daß mein Vater wegen paranoider Gedanken
in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht wurde
er ist achtundsechzig und leidet seit Wochen an einer Depression

meine Mutter verbietet mir meinen Bruder zu informieren
ich entgegne daß mein Bruder es wissen muß
er muß die Wahrheit von seiner eigenen Familie erfahren
nicht von anderen—sonst fühlt er sich verlassen und verraten
er könnte sich sorgen warum seine Familie ihn anschweigt
und sogar glauben daß die Familie ihn beschuldigt
und sollte er sich selbst anklagen
muß er sich ausgeschlossen und isoliert fühlen—doch
meine Mutter besteht darauf daß ich schweige

mein Bruder und ich sind Freunde geworden seit wir beide
weint entfernt von Deutschland leben—zum ersten Mal
fühle ich mich einem Menschen in meiner Familie nah

vor kurzem hatte mein Bruder eine ernste Auseinandersetzung
mit unserem Vater
um sich von dessen destruktiver Kontrolle zu befreien

ich weiß daß mein Bruder die Wahrheit wissen muß
und daß er für die Probleme meines Vaters nicht verantwortlich ist
ich weiß daß mein Vater vor sich selbst auf der Flucht ist
weil er sich nie mit seiner Familien- oder Kriegsvergangenheit
auseinandergesetzt hat—wo ich herkomme ist Therapie ein Tabu

ich kann meinen Bruder nicht an Schweigen und Verrat ausliefern
sobald ich aufgelegt habe rufe ich ihn
ich sage ihm die Wahrheit
an diesem Tag und den folgenden Tagen
haben wir lange Gespräche über ihn und unsere Familie
er hat Schuldgefühle—ich versuche ihn zu überzeugen
daß er nicht schuldig ist denn ich bin überzeugt
daß die Vergangenheit meines Vaters ihn eingeholt hat

doch ich habe getan was meine Mutter nicht wollte
ich habe ihr durch mein Handeln widersprochen
nun habe ich Probleme—meine Angst ist wieder da
sie hat meinen Körper und mein Denken überwältigt
ich fühle mich auch für meinen Bruder verantwortlich
er hat furchtbar
unter den autoritären Methoden meiner Eltern gelitten
meine Mutter erzählte einmal, daß sie ganz besonders streng
mit diesem Bruder war—ihrem ersten Sohn—
damit er nicht wie ihr eigener Bruder würde
der auch wie der ganz besondere älteste Sohn behandelt wurde

ich habe gegen die Wünsche meiner Mutter gehandelt
ich bin meinem Gewissen gefolgt
ich bin so anders als meine Mutter
ich habe das Gefühl als ob ein Abgrund zwischen uns liegt
ich bin leidenschaftlich für Ehrlichkeit und Offenheit
ich finde es falsch die Wahrheit zu verbergen
und dennoch quält mich nun das Denken meiner Mutter:
wenn mein Bruder jetzt leidet oder sich etwas antut
es wäre mein Fehler—weil ich ihm die Wahrheit gesagt habe
ich fühle mich beschuldigt und für schuldig erklärt

die allzu bekannte Angst hindert mich am Schlafen
ich rufe einen Therapeuten an den ich durch Freunde kenne
zuerst sage ich meinem Bruder helfen möchte
—doch das bringt mich nicht weiter

schließlich sage ich—ich brauche Hilfe—doch er hat keine Zeit
ich kämpfe—lasse mich kommen wenn andere absagen
ich kann ihn überzeugen
und meine therapeutische Reise beginnt

© Barbara Rogers

                     Kapitel 1 Ein Ausweg

                                                               Screams from Childhood